Haydns Oratorium „Die Schöpfung“, dessen erste öffentliche Aufführung 1799 im alten Wiener Burgtheater stattfand, ist eines der Gipfelwerke der klassischen Kunst; es spiegelt sich darin der Geist der Goethezeit – das Einssein des Menschen mit seiner Welt, die Ehrfurcht vor dem gewaltigen Kosmos der Natur, der als von einer göttlichen Autorität geschaffen gilt und als dessen Krönung der Mensch erscheint.
Die Schöpfung als Geburt der Weltordnung kraft eines ordnenden Geistes, die Überwindung des Chaos durch die Vernunft – das ist ein wahrhaft großes Thema für die Gestaltung durch den Tanz. Haydns Musik bietet die Voraussetzung: sie ist rhythmisch, ja durchaus tänzerisch inspiriert; sie illustriert nicht lediglich den Text, der auf der biblischen Geschichte fußt, sondern schafft kraft ihrer Ausdrucksfülle eine eigene Bilderwelt, die sich über die konzertante Form des Oratoriums hinaus in szenische Vorgänge, in Körpersprache übersetzen lässt.

 

Beide Sprachen, die der Musik und die des Tanzes, treffen sich zu einem neuen musikalischen Theater.
Mit der Choreographie “Die Schöpfung” nach der Musik Joseph Haydns gelang 1985 dem damals 26jährigen Uwe Scholz ein fulminanter Start als Ballettdirektor und Chefchoreograph des Zürcher Balletts. 1991 begann Scholz mit einer Neufassung des Stücks seine Ära als Ballettdirektor und Chefchoreograph des Leipziger Balletts. Seitdem ist „Die Schöpfung“ gleichsam zum Markenzeichen für Scholz und sein Ensemble geworden.

 

 In Geste und Bewegung erzählt der Choreograph gemeinsam mit Haydn die Schöpfungsgeschichte vor einem Hintergrund aus großformatigen Aquarellen von Francesco Clemente. Die Chöre spiegelt Scholz in groß angelegten Gruppenformationen, während er die Solostimmen sensibel in seine Bewegungsvorstellung von neoklassischem Ballett übersetzt. Hier manifestiert sich die choreographische Handschrift von Scholz, die ohne Theatralik auskommt und allein von der emotional angereicherten Ästhetik reiner Bewegung lebt.