Legacy

Ein Leben für den Tanz

Uwe Scholz (1958 – 2004)

„Bühne – Bitte Tür leise schließen“ - ein Foto zeigt Uwe Scholz, an die eiserne Feuerschutztür gelehnt, die zur Bühne führt, mit hellwachem Blick, in dem sich Ironie und Distanz mischen, den Betrachter mit den Augen fast schon durchbohrend. Er hat sich natürlich just diesen Platz ausgesucht für das Porträt, und der sachliche Hinweis erscheint heute, im Rückblick auf sein so tragisch früh vollendetes Leben, wie ein bewusst gewähltes Motto. Er liebte die lauten Worte nicht. Er war ein Künstler der Innerlichkeit – nicht umsonst standen ihm die Romantiker so nahe, durchzieht sein Schaffen ein heimlicher Grundton, der auf die deutsche Romantik verweist, die musikalische wie literarische. Und sein Abgang aus dieser Welt vollzog sich in aller Stille, nachdem eine wüste Schlammschlacht gegen ihn entfacht worden war.

Der Choreograph Uwe Scholz, am 31. Dezember 1958 geboren, stammt aus Pfungstadt in Hessen, wo seine Familie eine Schlosserei betrieb. Er starb am 21. November 2004 im Kreiskrankenhaus Bad Saarow. Mit vier Jahren erhielt er ersten Ballettunterricht, den er zwei Jahre später am Landestheater Darmstadt fortsetzte. 1973 bestand er unter John Cranko die Aufnahmeprüfung an der Ballettschule der Württembergischen Staatstheater Stuttgart, wo er 1979 seine Ausbildung abschloss.

Im gleichen Jahr – als Mitglied des Stuttgarter Balletts unter Vertrag genommen – betraute ihn Marcia Haydée mit einer Reihe von choreographischen Aufgaben und sollte damit seine weitere Entwicklung nachhaltig beeinflussen und prägen. 1980 erhielt Uwe Scholz einen Choreographenvertrag und zog sich (von späteren Ausnahmen wie der Rolle des Jacques Offenbach in Maurice Béjarts „Gaité Parisienne“ und dem Coppelius in seiner eigenen Zürcher Choreographie des Balletts „Coppélia“ abgesehen) als Tänzer von der Bühne zurück. Zwei Jahre später wurde er zum ersten „Ständigen Choreographen“ des Stuttgarter Balletts nach Crankos Tod ernannt.

Neben seinen Ballettarbeiten konnte Uwe Scholz auch Erfahrungen als Regieassistent und Opernchoreograph (z. B. bei der Frankfurter „Aida“ von Hans Neuenfels, der Zagreber „Orpheus und Eurydike“-Inszenierung von Lovro von Matacic), im Schauspiel bei Hansgünther Heyme in Stuttgart, und dann als Opernregisseur (Uraufführung von Mark Kopytmans „Süsskind von Trimberg“ beim Testimonium Festival in Israel, „Zauberflöte“ in Nürnberg) und mit Arbeiten für das Fernsehen sammeln.

Mit 26 Jahren wurde Uwe Scholz als Ballettdirektor und Chefchoreograph an das Zürcher Opernhaus berufen und leitete das Zürcher Ballett sechs Jahre lang bis 1991. In diesem Jahr holte ihn Udo Zimmermann nach Leipzig, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Aufbauend auf den großen Traditionen seiner Vorgänger schuf er das weit über Deutschlands Grenzen hinaus bedeutend gewordene Leipziger Ballett.

In seiner langjährigen Choreographentätigkeit hat er ein Repertoire von über achtzig Balletten geschaffen. Die musikalische Bandbreite reicht vom Barock bis in die unmittelbare Gegenwart. Die bevorzugten Komponisten sind Bach, Mozart, Bruckner und Stravinsky, von den Zeitgenossen Pierre Boulez, Udo Zimmermann und Philip Glass.

Als Choreograph war er weltweit gefragt und schuf u. a. Ballette für die Berliner, Münchner und Wiener Staatsoper, die Mailänder Scala, für Les Ballets de Monte Carlo, das Nederlands Dans Theater, für Jerusalem, Stockholm, Toronto und immer wieder für das Stuttgarter Ballett (wie z. B. Beethovens „Siebente Symphonie“, die durch dieses Ensemble bei Gastspielen in der ganzen Welt gezeigt wurde). Bis heute stehen seine Werke auf den Spielplänen der internationalen Ballettkompagnien. Aus Anlass seines 50. Geburtstages am 31. Dezember 2008 veranstaltete das Stuttgarter Ballett eine Gala zu seinen Ehren, bei der auch das Zürcher und das Leipziger Ballett mitwirkten.

Für seine Leistungen wurde Uwe Scholz 1987 mit dem Preis „Ommagio alla Danza“ von der Organisation „Espressione Europa“ in Venedig ausgezeichnet und erhielt 1996 das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Weitere bedeutende Auszeichnungen waren 1998 der Theaterpreis der Bayerischen Staatsregierung für seine abendfüllende Choreographie „Die Große Messe“ und 1999 der „Deutsche Tanzpreis“.

1993 wurde Uwe Scholz zum Professor für Choreographie an die Leipziger Hochschule für Musik und Theater berufen und übernahm außerdem von 1997 bis 2003 die Leitung der Ballettschule der Oper Leipzig.

Uwe Scholz’ Vorstellung von der idealen Tanzinterpretation ist nicht die einseitige tänzerische Formvollendung, vielmehr interessiert ihn das Vermögen der Tänzer, durch „Körpersprache“ künstlerisch eine Aussage zu vermitteln, die das verdeutlicht, was er als „Seelenlandschaften“ bezeichnete.

Mit Klassikern des Handlungsballetts wie „Coppélia“, „Dornröschen“, „Schwanensee“, „Feuervogel“, mit eigenen choreographischen Versionen großer Stoffe der Weltliteratur („Rot und Schwarz“ von Stendhal mit Musik von Berlioz), mit revueartig kombinierten Ballettabenden wie „Ein Sommernachtstraum“, „AMERIKA!“ und „Scholz Notizen“, mit sinfonischen Balletten wie „Bruckner 8“, „Siebte Symphonie“ (Beethoven), „Zweite Symphonie“ (Schumann), „Klavierkonzert Es-Dur“ (Mozart), „Drittes Klavierkonzert“ und „Suite für zwei Klaviere“ (Rachmaninow) oder „Symphonie fantastique“ (Berlioz), mit großangelegten Tanzschöpfungen, die philosophisch-weltanschauliche Problemstellungen  aufarbeiten, wie „Die Große Messe“, „Gloria in excelsis Deo“, „Dans la marche“ und „Pax questuosa“ oder zuletzt „Le Sacre du Printemps“ (in beiden Fassungen Stravinskys) bot Uwe Scholz ein immer wieder anderes „Ballett-Theater“ an.

Gern und vorschnell verallgemeinernd wird sein Schaffen auf den Begriff „neoklassisch“ reduziert. Das erfasst aber nur eine Seite seines choreographischen Stils, die großen sinfonischen Ballette auf Musik der Klassik und Romantik. Das Werk von Uwe Scholz, insbesondere seine auf Musik von Stravinsky oder zeitgenössischen Komponisten geschaffenen Ballette und seine Tanztheater-Schöpfungen, weisen ihn aber ebenso als einen extrem modernen Choreographen aus und es scheint heute, als wäre er einer der wenigen, welche die von George Balanchine und John Cranko ausgegangenen Anregungen zur Weiterentwicklung der Ballettkunst nicht nur aufgegriffen, sondern in seinem Schaffen auch zu neuer Einheit verbunden  haben.

 

© Text: Lothar Wittke